„Lesezeit: ca. 4 Minuten“

1955, Chicago. Die alleinerziehende Mutter Mamie Till verabschiedet ihren 14-jährigen Sohn Emmett, der über die Sommerferien seinen Onkel in Mississippi besuchen darf. Als der Zug abfährt, sollte es das letzte Mal sein, dass sie ihn lebend sieht. Emmett ist ein lebensfroher Junge und gut erzogen. Er freut sich auf die Reise und auf ein Wiedersehen mit seinen Cousins. Über die Rassentrennung und Unterdrückung der schwarzen Bevölkerung macht er sich wenig Gedanken.

In Mississippi läuft gerade die Baumwollernte, wo Emmett fleißig mithilft. Eines Tages betritt er mit seinen Cousins einen Lebensmittelladen, um Süßigkeiten zu kaufen. Was sich dann genau zugetragen hat, ist bis heute umstritten. Emmett soll sich mit der weißen Verkäuferin unangemessen unterhalten haben. Zudem soll er beim Verlassen des Ladens einen bewundernden Pfiff ausgestoßen haben. Für Emmett und seine Freunde ist das Geschehene schnell vergessen. Doch die Schlinge der Rassendiskriminierung beginnt sich zusammenzuziehen.


Wenige Tage nach diesem Vorfall tauchen plötzlich zwei weiße Männer vor dem Haus von Emmett auf. Sein Onkel und seine Tante versuchen, die gewaltbereiten Männer zu beruhigen, aber sie werden brutal mit einem Gewehr niedergeschlagen. Emmett wird aus seinem Bett gezerrt, gefesselt und mit einem Wagen weggebracht. Es ist kaum vorstellbar, was er in den kommenden Stunden bis zu seinem Tod durchmachen muss – nur weil er eine andere Hautfarbe hat.

Als sein Leichnam gefunden wird, weist er Wunden am ganzen Körper auf. Ihm fehlen Zähne und ein Auge, zudem ist die Nase gebrochen. Auch ein Kopfschuss hat ihn nicht von seinen Qualen erlöst. Emmett wird ein Stacheldraht um den Hals gewickelt, dieser dann mit einer Baumwollmaschine beschwert, wo er dann in einem Fluss versenkt wird. Sein entstelltes Gesicht ist kaum wiederzuerkennen. Erst durch einen Ring kann man den toten Jungen identifizieren.

Als Mamie Till von seinem Tod erfährt, bricht sie zusammen. Traumatisiert von den Ereignissen setzt sie eine Überführung des Leichnams nach Chicago durch. Als sie zum ersten Mal den verstümmelten Körper ihres Sohnes sieht, wird ihr gebrochenes Herz nochmals in tausend Stücke gerissen. Wie konnte man einem Jungen nur so etwas antun? Sie trifft eine waghalsige Entscheidung und verweigert es dem Bestatter, das Aussehen der Leiche zu verändern. Außerdem beharrt sie darauf, dass ihr Sohn bei der Trauerfeier in einen offenen Sarg gelegt wird. Schmerzerfüllt muss Mamie Till das Begräbnis ertragen. Gemeinsam mit tausenden Menschen, welche Zeugen von den Folterungen an Emmett werden. Fotos davon verbreiten sich im ganzen Land!

Mamie Till: „Ich wollte, dass die Welt sieht, was sie meinem Baby angetan haben. Es war ein so abscheuliches Verbrechen, dass ich keine Worte habe, um es zu beschreiben“

Der Gerichtsprozess gegen die zwei Entführer erhält große Aufmerksamkeit. Auch Mamie Till reist tief in den rassistischen Süden. Sie hat die Hoffnung, dass die Aussage einer trauernden Mutter Gehör findet. Als sie den überfüllten Gerichtssaal betritt, spürt sie verachtende Blicke. Im Zuschauerraum wird auf den für Weiße reservierten Plätzen geplaudert und gelacht, es werden wahre Picknicks veranstaltet. Mamie Till wird bewusst, dass der Tod ihres Sohnes nicht ernst genommen wird und es hier keine Gerechtigkeit geben wird. Auf mysteriöse Weise verschwinden Zeugen und Tatbestände werden trotz eindeutiger Beweise umgedreht. Die zwölfköpfige Jury, die sich ausschließlich aus weißen Männern zusammensetzt, hat ihr Urteil schon lange gefällt. Nach nur knapp einer Stunde Beratung befinden sie die Angeklagten für nicht schuldig. Sogar von der Anschuldigung der Entführung werden sie freigesprochen, welche die beiden Männer selbst zugegeben haben.

Mamie Till: „Sie wollten aus dem Mord an meinem Sohn einen Fall von Selbstverteidigung machen, die Selbstverteidigung der Lebensweise in Mississippi“

Der Freispruch löst eine Welle des Entsetzens aus. Mamie Till lässt sich nicht unterkriegen. Sie kämpft dagegen an, getragen von der Mutterliebe zu ihrem Sohn. Sie beginnt im ganzen Land Vorträge über diesen skandalösen Prozess zu halten. Fotos von ihrem Sohn werden zum Symbol für die Misshandlungen an schwarzen Menschen. Mamie Till entzündet einen Funken für mehr Gerechtigkeit, der sich im ganzen Land wie ein Lauffeuer verbreitet.

Nur wenige Monate nach dem Ende des Gerichtsprozesses geben die beiden Hauptbeschuldigten zu, Emmett entführt, gefoltert und getötet zu haben. Detailgenau berichten sie einer Zeitung über ihre Tat – für ein fürstliches Honorar. Sie haben wegen des in den USA geltenden Verbotes doppelter Strafverfolgung keine juristischen Konsequenzen zu befürchten. Auch für die Personen, die mit Falschaussagen im Prozess die Täter decken, wird es keine strafrechtliche Verfolgung geben.

Trotz einer der grausamsten Lynchmorde in der Geschichte der Südstaaten findet Mamie Till die Kraft, nicht daran zu zerbrechen. Sie dringt mit ihren Botschaften in das Bewusstsein der Öffentlichkeit und verändert mit ihrem Mut ein starres gesellschaftliches System. Der Schmerz über den Verlust ihres Sohnes hindert sie nicht daran, Herzlichkeit in die Welt zu tragen. Bis zu ihrem Tod ist Liebe ihre stärkste Waffe gegen Rassismus. Mamie Till inspirierte dadurch viele Aktivisten – wie den Bürgerrechtler Martin Luther King. Der Beginn der schwarzen Bürgerrechtsbewegung!

Auf dem Grabstein von Mamie Till steht geschrieben: „Ihr Schmerz vereinte eine Nation.“

Mamie Till: „Als die Menschen sahen, was mit meinem Sohn geschehen war, standen Männer auf, die sich vorher nie gewehrt hatten. Menschen wurden laut, die sich vorher nie geäußert hatten“


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Emmett Till: The Murder That Shocked the World and Propelled the Civil Rights Movement

Einzelnachweise (abgerufen am 02.01.2023):
1. wikibrief.org – Mamie Till
2. www.guides.lib.fsu.edu – Emmett Till Archives
3. wikipedia.org – Mamie Till
4. www.welt.de – Lynchmord an Emmett-Till
5. www.spiegel.de – Letzte Chance auf Gerechtigkeit
6. www.washingtonpost.com – Mamie Till-Mobley’s courageous journey
7. wikipedia.org – Emmett Till