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Als Sarah Neef 1981 zur Welt kam, traten Komplikationen auf. Wahrscheinlich führte ein Sauerstoffmangel dazu, dass sie gehörlos geboren wurde. Man hätte ihr damals noch helfen können, aber die Gehörlosigkeit wurde viel zu spät von den Ärzten entdeckt, weshalb es keine Heilungschancen mehr gab. Die Eltern waren geschockt, jedoch wollten sie das Beste für ihre Tochter. Sie brachten sie in die Schweiz zur bekannten Audiopädagogin Susann Schmid-Giovannini, dort sollte sie nicht die Gebärdensprache (Handzeichen und Mimik) lernen, sondern ihr wurde das natürliche Sprechen vermittelt. Sarah Neef machte schnell erstaunliche Fortschritte, neben dem Sprechen lernte sie außerdem, ihren Gesprächspartnern jedes Wort von den Lippen abzulesen.

Aber durch ihre Behinderung musste sie bald einsehen, dass sie immer wieder benachteiligt wurde. In der Schule befürchteten die anderen Elternteile, Sarah würde die anderen Kinder in ihrer Entwicklung aufhalten, diese ablehnende Haltung der Eltern übertrug sich auch auf die Kinder, weshalb sie kaum Freunde hatte. Aber Sarah Neef kämpfte sich als Außenseiterin durch die Schulzeit und hatte trotz ihrer Behinderung immer beste Noten. Sie beschloss, Psychologie zu studieren, obwohl ihr die damaligen Lehrer dies auszureden versuchten, aufgrund ihrer Behinderung sollte sie einfach zurückstecken im Leben. Aber Sarah hörte nicht auf sie und meldete sich für das Studium an. Dort musste sie immer in der ersten Reihe sitzen, damit sie die Lippen des Dozenten lesen konnte, was sehr anstrengend war, weil sie immer hochkonzentriert sein musste. Wenn der Vortragende ihr den Rücken zukehrte, verlor sie immer wieder den Faden. Bei Gruppendiskussionen hatte sie sowieso keine Chance, etwas zu verstehen. Aber Sarah hatte einen starken Willen und viel Kraft, ihr Studium durchzustehen. Unterstützt wurde sich auch von Freunden, die ihr mit vielen Mitschriften aushalfen.

Sarah Neef: „Viele Dinge sind ein wenig schwerer für mich, aber deswegen kapituliere ich nicht schon von vornherein“

Die große Leidenschaft gehörte aber der Musik und dem Tanz. Bei einem Opernbesuch in sehr jungen Jahren war sie so fasziniert, dass sie unbedingt Tänzerin werden wollte. Und auch die Audiopädagogin von ihr, Susann Schmid-Giovannini überzeugte sie mit den Worten: „Musik kann man nicht nur hören, man kann sie auch fühlen.“ Die Begeisterung von Sarah sollte bald einen Rückschlag erhalten, denn die Ballettschule wollte sie nicht aufnehmen. Aber die Eltern blieben hartnäckig und Sarah wurde schließlich aufgenommen, auch, weil die Eltern aufgrund ihrer Behinderung die doppelte Kursgebühr bezahlen mussten. Sarah hatte einen sehr sensiblen Körper, zwar hörte sie die Musik nicht, aber sie spürte sie am Körper. Die tiefen Laute spürte sie an den Beinen und Fußsohlen, die höheren Töne in der Kehle, auf den Lippen, den Händen, den Innenseiten der Arme, im Nacken und auf der Brust. Sie entwickelte ihr Gespür für Musik so weit aus, dass man als Fremder ihre Behinderung nicht bemerkte, so talentiert war sie.


Sarah Neef: „Wenn ich tanze, vergesse ich die Welt. Ich nehme die Musik über meinen Körper auf, empfange die Vibrationen und Schwingungen der Klänge über die feinen Härchen auf der Haut. Vor einem neuen Tanz studiere ich genau die Noten und spiele sie immer wieder auf dem Klavier, bis sie in mir abgespeichert sind, die Bewegungen setzen dann ganz automatisch ein“

Sarah Neff hat es allen gezeigt. Das Abitur hat sie mit der Note 1,9 bestanden, ihr Studium mit der Note 1,6. Zusätzlich hat sie noch den Scheffelpreis in Deutsch und den Humanismuspreis in Latein abgeräumt. Sie ist Schriftstellerin, spricht fünf Sprachen fließend, obwohl sie ihre Gesprächspartner nicht hören kann. Sie spielt drei Musikinstrumente und tanzt in einem professionellen Ensemble. Sarah Neef ist seit ihrer Geburt gehörlos und hat in ihrem Leben trotzdem mehr erreicht als so mancher Mensch ohne Behinderung. Sie will gehörlosen Menschen Mut machen, ihren Weg zu gehen, sie will ihnen zeigen was alles machbar ist, wenn man bereit ist, Hindernisse zu überwinden.

Sarah Neef: „Ich hadere nicht mit dem Schicksal. Ich habe gelernt, zu meinem Leben ja zu sagen, so wie es ist. Es gibt immer Hoffnung, jeder kann sich seine Träume erfüllen“

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Sarah Neef: Im Rhythmus der Stille: Wie ich mir die Welt der Hörenden eroberte