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„Ich habe mich entschlossen, mit Ralph zu gehen, wohin immer das auch sein mag. Versuche, dein Leben zu machen“

Das Herz von Margot wird in tausend Stücke zerrissen. Es sind die letzten Worte ihrer Mutter, die sie von Nachbarn übermittelt bekommt. Sie wird nie wieder etwas von ihrer Mutter und ihrem jüngeren Bruder Ralph hören. Was ist passiert?

20. Januar 1943. Kurz vor der geplanten Flucht aus Deutschland hat die Geheimpolizei Ralph aufgespürt. „Aufmachen, aufmachen!“ Lautes Klopfen und Schreie im Hausflur. Sie zerren den Jungen in einen Polizeiwagen und bringen ihn weg. Die Terrorherrschaft von Adolf Hitler mit der Judenverfolgung schlägt zu. Ohne Erbarmen. Als die Mutter nach Hause kommt, ist sie verzweifelt – und trifft eine Entscheidung. Sie hinterlässt eine Tasche mit Notizbuch und einer Bernsteinkette bei Nachbarn – und ein paar letzte Worte für Margot. Dann geht sie freiwillig auf die Polizeiwache, um ihren hilfsbedürftigen Sohn nicht allein zu lassen. Sie hat wenig Hoffnung auf ein gutes Ende, aber ihr Mutterherz ist stärker als die Angst. Trost kann sie ihrem Sohn nur kurze Zeit spenden. Gemeinsam mit Ralph kommt sie in das Konzentrationslager Auschwitz, wo beide in den Gaskammern getötet werden.


Margot Friedländer: „Wie unvorstellbar muss der Schmerz meiner Mutter gewesen sein. Sollte ich meinem Bruder und meiner Mutter freiwillig in die Gestapohaft folgen? Eine Mutter kennt ihre Kinder. Mein Bruder war der Jüngere, der Schwächere. Deshalb hat sie ihn begleitet. Sie hat an mich geglaubt“

Margot versteht die Botschaft ihrer Mutter als Aufforderung, durchzuhalten und weiterzuleben. Im Alter von 21 Jahren taucht sie unter, ohne Familie und auf sich allein gestellt. Auch ihr Vater ist bereits in einem Vernichtungslager umgekommen. Es beginnt ein Kampf ums Überleben, ständig in Gefahr, von der Gestapo aufgespürt zu werden. Sie färbt sich ihre Haare und lässt sich ihre Nase operieren, um weniger „jüdisch“ auszusehen. Margot muss ständig ihre Unterkünfte wechseln, um nicht erwischt zu werden. Doch irgendwann passiert es: Im Frühjahr 1944 wird sie verraten und in das Konzentrationslager Theresienstadt gebracht, wo Hunger, Krankheit und Tod den Alltag bestimmen. Margot wird in einer kriegswichtigen Produktion eingesetzt. Diese Arbeit bewahrt sie vor den Gaskammern.

Margot Friedländer: „Damals hat man nach jeder Möglichkeit geschaut, um zu überleben“

Mit viel Glück übersteht Margot den Holocaust. Nach dem Krieg wandert sie in die USA aus, heiratet und beginnt ein neues Leben. Die Erlebnisse des Krieges kann sie nicht vergessen. Als ihr Mann nach über 50 Ehejahren stirbt, stürzt sie in eine tiefe Krise. In einem Seniorenkurs für biografisches Schreiben beginnt Margot, ihre Kriegserinnerungen aufzuschreiben. Jahrelang unterdrückte Gefühle kommen wieder hoch, für ihre Seele ist es eine Befreiung. Als Margot ihre ersten Aufzeichnungen im Schreibkurs vorliest, wird es still im Raum. Die Teilnehmer sind bestürzt über das Schicksal ihrer Familie.

Margot Friedländer: „Mein innerer Kampf mit dem Schuldgefühl als Überlebende und der Schmerz über das Schicksal meiner Familie – beides begleitet mich mein Leben lang und kostet mich viel Kraft“


Im Alter von 90 Jahren gibt Margot ihrem Leben einen neuen Sinn und kehrt nach Deutschland zurück. Ein kleiner Triumph über eine Ideologie, die sie damals von hier vertrieben hat und sie ermorden wollte. Sie beginnt, ihre Geschichte in Schulen und anderen Einrichtungen zu erzählen, um jungen Menschen den Wert von Respekt und Menschlichkeit beizubringen – ohne Zorn und Bitterkeit. Sie beschreibt die dunkelsten Stunden ihres Lebens, mit einer warmen und klaren Stimme. Margot trägt dabei gelegentlich die Bernsteinkette, die sie von ihrer Mutter erhalten hat.

Margot Friedländer ist eine kleine und zierliche Frau, aber vor allem ist sie ein großer Mensch. Seit 2014 wird der Margot-Friedländer-Preis verliehen, der Schüler und Lehrer motivieren soll, sich mit dem Holocaust und der heutigen Erinnerungskultur auseinanderzusetzen. Projekte werden unterstützt im Kampf gegen Diskriminierung, Ausgrenzung und Rechtsextremismus.

Margot Friedländer: „Wohin ich zurückgehe, da sind keine Täter. Ich reiche euch die Hand. Mein Bruder hatte keine Chance. Ihr habt eine Chance, werft sie nicht weg. Ich will, dass ihr Menschen werdet, die andere Menschen respektieren, egal welche Religion oder Hautfarbe sie haben. Heute bin ich meiner Mutter unendlich dankbar für die Stärke, die sie hatte. Durch ihre Worte hat sie mir ein Leben gegeben“

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Margot Friedländer: „Versuche, dein Leben zu machen“ – Als Jüdin versteckt in Berlin

Einzelnachweise (abgerufen am 01.02.2022):
1. www.spiegel.de – Ein Jahrhundert Leben
2. www.spiegel.de – Überleben im Untergrund
3. www.domradio.de – Ich fühle keine Bitterkeit
4. wikipedia.org – Margot Friedländer