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1944 wurden die Staaten Litauen, Lettland und Estland gegen den Willen der Bevölkerung von der Sowjetunion besetzt und einverleibt. Diese Zeit war gekennzeichnet von einer großen Ansiedlungspolitik der Sowjetunion, um die angestammte Bevölkerung zur Minderheit im eigenen Land zu machen. Natürlich gab es Widerstandsbewegungen gegen die Unterdrückung, diese wurden aber gewaltsam durch Liquidationen oder mit harten Gefängnisstrafen bestraft. Gegen die Übermacht der großen Sowjetunion (UdSSR) hatten diese kleinen Länder nicht den Funken einer Chance. Es dauerte bis zum 23. August 1989, bis eine der ungewöhnlichsten und spektakulärsten Aktionen in der Weltgeschichte diesen Zustand ändern sollte.
Zeitzeuge: „Ich habe mir immer gewünscht, dass wir wieder frei sein würden, aber realistisch war das nicht. Nur im Zusammenhang mit einem Krieg schien es vorstellbar, und den wünschte natürlich niemand“
Die Zeit des Umbruchs war für vielen Menschen im Baltikum gekommen. Man versammelte sich auf öffentlichen Plätzen und demonstrierte friedlich für die Unabhängigkeit. Es entstanden verschiedene Freiheitsbewegungen, aber man befürchtete jederzeit die strengen Strafen der sowjetischen Armee. Immer wieder gab es Einschüchterungsversuche durch harte Gefängnisstrafen gegen die Demonstranten, um den Widerstand der Menschen zu brechen. Aber die Sowjetunion hatte nicht mit dem Mut eines ganzen Volkes gerechnet, die am 23. August 1989 eine zusammenhängende Menschenkette über eine Länge von 600 Kilometern bildete. Über zwei Millionen Menschen beteiligten sich an der Aktion, alle drei Länder Litauen, Lettland und Estland waren beteiligt. Die Leute hatten Angst, jeden Moment befürchteten sie dass Panzer der sowjetischen Armee aufkreuzten, um die Menschenkette gewaltsam zu unterbinden. Aber es passierte nichts und die Menschen fingen an, die damals streng verbotenen Volkslieder des Baltikums zu singen und schwenkten alte Fahnen. Bis in die Nacht wurde nun gesungen, um ihren Willen für ihre Freiheit zu untermauern. Zum ersten Mal wurde die ganze Welt Zeuge dieser beeindruckenden Freiheitsbewegung.
Zeitzeuge: „Jeden Tag fürchteten wir, dass die Panzer kämen. Wir hatten Freudentränen in den Augen und Angstschmerzen im Bauch. Diese Eintracht der Menschen war die schönste Zeit unseres Lebens“
Die Sowjetunion versuchte diese Aktion herunterzuspielen, aber die Menschen in den baltischen Staaten hatten begriffen, dass sie zusammen sehr viel mehr Macht hatten als angenommen. Immer öfter gab es nun Aufstände und Unruhen. Die Situation spitzte sich 1991 immer weiter zu, in Litauen kam es ständig zu Massenprotesten. Die Sowjetunion reagierte und schickte schwerbewaffnete Panzer nach Vilnius, der Hauptstadt von Litauen, um die Proteste zu stoppen. Aber wieder unterschätzten sie den Mut der Menschen, die sich unbewaffnet vor den Regierungsgebäuden verschanzten, um die Gebäude und ihre Abgeordneten zu schützen. Die Menschen bildeten wieder eine Kette und stellten sich mutig der Panzerarmee entgegen. Keiner rechnete mit Gewalt gegen die Demonstranten, als aus heiterem Himmel die Soldaten begannen, mit scharfer Munition in die Menge zu schießen und die Panzer einfach über die Menschen hinwegrollten.
An diesem Tag am 13. Jänner 1991 (Vilniusser Blutsonntag) starben insgesamt 14 unbewaffnete Zivilisten, über 1000 Menschen wurden verletzt. Die blutige Niederschlagung gegen unbewaffnete Menschen blieb nicht unbemerkt und es hagelte internationale Kritik an dieser Aktion. Als in einem Referendum über 90 Prozent der Wähler für ein unabhängiges Litauen stimmten, beschloss das isländische Parlament als erstes Land überhaupt, Litauen als unabhängigen Staat anzuerkennen. Kurze Zeit später folgten auch die anderen Staaten dieser Welt, und als der internationale Druck immer größer wurde, erkannte die Sowjetunion die Unabhängigkeit der drei baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland endlich an.
Auch wenn die Situation noch so aussichtslos erscheint, gibt es immer Hoffnung. Die Menschen im Baltikum nahmen ihr Schicksal selbst in die Hand und stemmten sich mit unglaublichen Mut und Willen gegen die Übermacht der Sowjetunion. Ohne je selbst zu den Waffen gegriffen zu haben, schafften sie es, mit der Menschenkette (Singende Revolution) eine Bewegung in Gang zu bringen, die selbst die Sowjetunion nicht mehr stoppen konnte.
Zeitzeuge: „Erst als der letzte Soldat aus dem Baltikum abzog, war der Zweite Weltkrieg für uns zu Ende“