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25. März 1944. South Carolina, USA. Es herrscht strikte Rassentrennung. Die Schwarzen dürfen nicht die gleichen Schulen, Busse oder Toiletten benutzen wie die weißen Mitbürger und haben sonst kaum Rechte. George Stinney ist 14 Jahre alt und lebt im schwarzen Viertel. Er spielt gerade mit seiner kleinen Schwester, als plötzlich Polizisten das Haus stürmen und über ihn herfallen. Der verängstigte Junge wird in Handschellen abgeführt und die Schwester allein zurückgelassen. Es ist das letzte Mal, dass sie ihren Bruder lebend sehen wird.

Was ist passiert? Am Vortag sind zwei weiße Mädchen ermordet worden und George Stinney wird als Hauptverdächtiger angeführt, obwohl er vehement die Vorwürfe bestreitet. Der Junge wird in ein Gefängnis 80 km außerhalb der Stadt gebracht, wo er in eine Einzelzelle gesperrt wird. Verzweifelt und herausgerissen aus seiner Familie ist er auf sich allein gestellt. Er hat keine Unterstützung und wird ohne einen Anwalt befragt und unter Druck gesetzt. Auch seine Eltern dürfen ihn nicht sehen.

Der Gerichtsprozess findet am 24. April 1944 statt, ein schriftliches Protokoll dazu gibt es nicht. George Stinney steht einer Übermacht der weißen Gemeinschaft gegenüber, die ihn alle für schuldig halten. Es sind keine Schwarzen im Gerichtssaal zugelassen und auch den Eltern wird der Zutritt verwehrt. George Stinney hat nicht den Funken einer Chance. Ermittler, Staatsanwälte und alle Geschworenen sind weiß. Die Verhandlung dauert nur wenige Stunden und die Jury erklärt ihn nach nur zehn Minuten Beratung für schuldig, obwohl es keine Beweise gegen ihn gibt. Die Opfer sind weiß, der Junge ist schwarz. Indiz genug für die Todesstrafe! Was macht der Pflichtverteidiger von George Stinney? Gibt dem öffentlichen Druck nach und arbeitet gegen seinen Mandanten. Er erhebt gegen die rein weiße Jury keinen Einspruch, verlangt keine Beweisstücke und legt auch keine Berufung gegen das Todesurteil ein. Er ruft nicht einmal Zeugen auf, welche die Unschuld von George Stinney bestätigen können.

Am 16. Juni 1944 wird George Stinney in den Hinrichtungsraum gebracht. Für den elektrischen Stuhl ist er viel zu klein, weshalb er sich auf eine Bibel setzen muss. Nachdem er festgeschnallt ist, wird er nach seinen letzten Worten gefragt. Der Junge bringt keinen Ton heraus, seine Furcht zeigt sich in panischen, tiefen Atemzügen. Als der Gurt über den Mund gelegt wird, bricht George Stinney in Tränen aus. Verzweifelt sucht er nach einem letzten Rettungsanker, aber er stößt auf kalte Blicke. Über sein angsterfülltes Gesicht wird eine Maske gestülpt. Der Henker reagiert und legt den Schalter um, 2.400 Volt durchzucken den zierlichen Körper. Plötzlich verrutscht die viel zu große Gesichtsmaske und es zeigt sich ein schauderhaftes Bild von weit aufgerissenen Augen, rauchigen Zähnen und starken Verbrennungen. Nach acht Minuten Folter wird der 14-jährige Junge schließlich für tot erklärt.

George Stinney ist der jüngste Mensch, der im 20. Jahrhundert in Amerika hingerichtet wird. 70 Jahre nach seinem Tod wird die Verurteilung von ihm aufgehoben, da es keinen fairen Prozess gab und die Grundrechte von George Stinney verletzt wurden. Niemand konnte rechtfertigen, warum ein 14-jähriges Kind in etwa 80 Tagen angeklagt, verurteilt und auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet wird. Er wurde Opfer einer von Glaubenssätzen geprägten Gesellschaft, dass ein schwarzes Leben weniger wert ist. Dieses eingebrannte Weltbild erzeugte eine Wucht, die vor Unschuldigen nicht Halt machte. Nicht einmal vor Kindern.

Haben wir wirklich das Recht, den Wert eines Menschen über den eines anderen zu stellen?

 

Einzelnachweise (abgerufen am 01.04.2020):
1. www.welt.de – War der jüngste Hingerichtete Amerikas unschuldig?
2. www.mimikama.at – Faktencheck
3. www.theguardian.com – George Stinney was executed at 14.
4. en.wikipedia.org – George Stinney
5. de.wikipedia.org – George Stinney