Lesezeit: ca. 1 Minute
Eines Tages kam ein junger Mann zu Sokrates, der für seine Weisheit bekannt war, und fragte: „Was ist das Geheimnis für Erfolg im Leben?“ Sokrates antwortete: „Komm morgen Früh zum Fluss.“ So geschah es. Am nächsten Morgen standen sie am Ufer, und Sokrates sagte: „Jetzt gehen wir in den Fluss.“
Der junge Mann folgte Sokrates bereitwillig. Als beide bis zum Hals im Wasser standen, packte Sokrates den jungen Mann ganz plötzlich und drückte dessen Kopf unter Wasser. Der arme Kerl wehrte sich verzweifelt, aber Sokrates ließ ihn nicht los. Lange, lange nicht. Als er endlich seinen Griff lockerte, prustete und hechelte der junge Mann völlig außer sich.
Sokrates fragte: „Als du dort unten im Wasser warst, was wolltest du am meisten?“
„Luft natürlich!“ rief der junge Mann.
„Siehst, du“, sagte Sokrates, „das ist das Geheimnis des Erfolges. Wenn Du Erfolg so sehr willst, wie du unter Wasser Luft wolltest, dann wirst du auch Erfolg haben.“

„Was ist das?“ redete ihn Sokrates an. „Gleich einem Ringer bist du in den Gymnasien muthig, am Kampfplatz zage ! Du, ein solcher Mann, weißt nicht, dass das Leben nur ein kurzer Aufenthalt ist, und dass wir wohlgemuth mit Lobgesängen nach den himmlischen Reigentänzen abziehen sollen? Du fürchtest dich, die irdischen Güter zu verlassen, da du doch nach dem Tode keinen Nutzen und kein Bewusstsein davon haben wirst? Denn dein Leib ist nicht der Mensch, sondern die Seele, die nun erst ihr volles Leben eintauscht gegen ein gebundenes. Du firagst, warum ich im Leben noch bleibe, wenn ich es fiir so schlecht halte? Nun es ist nicht meine eigene Weisheit, die ich dir da vortrage, sondern die meines Lehrers Prodikos, wofür ich ihn auch bezahlt habe, den er gibt nichts umsonst.
So habe ich auch erst vor kurzem eine solche Rede über das Leben angehört, die Prodikos bei Kallias, dem Sohne des Hipponikos, gehalten hat, so dass ich seitdem erst zu sterben mich sehne. Er zeigte, dass das Leben schon von Anfang an voller Leiden ist. Denn das Kind tritt mit Weinen in die Welt und ohne sein Leiden auch nur sagen zu können. Denn vom siebenten Jahre an bedrängen Pädagogen, Grammatiker, Aufseher, Kritiker, Geometer, Taktiker und andere Tyrannen den Knaben. Dann kommen die Mühen der Jünglinge in den Gymnasien, im Lykeion und der Akademie. Und doch sind das erst Vorspiele für den Ernst des Lebens, für die Beschwerden des Greisenalters. Darum nehmen auch die Götter ihre Lieblinge sobald als möglich zu sich. So wai’en Agamedes und Trophonios froh, nicht mehr ins Leben zurückkehren zu müssen. So belohnte die Göttin auch den Kleobis und Biton, die Söhne der argeischen Priesterin, mit schnellem Tod als dem höchsten Lohne. Und dafür könnte man auch eine Menge von Dichterstellen anführen, besonders den Homeros und den Euripides…“ (Kralik, Sokrates. Wien 1899)
Gefällt mirGefällt mir