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Am 26. April 1986 ereignete sich in Tschernobyl (Ukraine) einer der schwersten nuklearen Unfälle in der Geschichte der Menschheit. Kurz vor dem Unglück sollte getestet werden, ob bei einem Stromausfall die Energie der Turbine noch zur Stromerzeugung genutzt werden konnte. Dieser geplante Test lief jedoch bald aus dem Ruder. Sicherheitsbestimmungen wurden nicht eingehalten, es gab ein riskantes Reaktorkonzept, und auch menschliches Versagen galten als Gründe für dieses fehlgeleitete Experiment. Als man noch versuchte, den Reaktor abzuschalten, war es bereits zu spät. Erste Rohre begannen zu platzen und die Kettenreaktion beschleunigte sich blitzschnell. Es gab eine riesige und gewaltige Explosion, welche den über 1000 Tonnen schweren Deckel des Reaktorkerns zerstörte, der Reaktorkern war nun nicht mehr abgeschlossen und radioaktive Materie gelangte direkt in die Atmosphäre. Der Super-GAU wurde am Anfang noch unterschätzt, die Atomexperten meldeten keine aktuelle Gefährdung für die Umgebung.


Die Bewohner in den Städten und Dörfern rund um das Atomkraftwerk ahnten die unmittelbare Gefahr nicht. In tiefen Zügen atmeten sie den radioaktiven Staub ein, Kinder gingen wie gewohnt zur Schule und einige Schaulustige schauten beim Kraftwerk vorbei um der Feuerwehr bei den Löscharbeiten zuzuschauen. Aber die Feuerwehrmänner waren gegen die atomare Glut machtlos, genauso wie die Hubschrauber, welche Sandsäcke über den Reaktor abwarfen. Wie aus heiterem Himmel brachen plötzlich Feuerwehrleute und Helfer zusammen und den Piloten wurde noch während des Fluges schwindelig. Die unsichtbare Gefahr zeigte ihre Auswirkungen, denn dies waren erste Symptome einer akuten Strahlenkrankheit. Unter den Helfern befand sich auch der 22-jährige Nikolaj Bondar, der als Reservist der Marine seine Familie verlassen musste, um in Tschernobyl zu helfen.

Nikolaj Bondar: „Zu diesem Zeitpunkt hatte niemand vermutet, was dort wirklich passiert ist, alles sollte vertuscht und streng geheim gehalten werden“


Als fünf Freiwillige für eine gefährliche Mission gesucht wurden, bekamen es viele Helfer mit der Angst zu tun, denn die Todesgefahr war erheblich. Nikolaj Bondar meldete sich aber sofort, sein Pflichtbewusstsein war sehr stark, auch, um seine Familie zu schützen. Mit seinen Kollegen musste er das radioaktiv verseuchte Kühlwasser abpumpen, welches sich direkt unter dem glühenden Reaktor befand. Wenn der Reaktor mit dem Wasser in Berührung kam, hätte es eine Wirkung wie bei einer Wasserstoffbombe gegeben, und das Land im Umkreis von über 500 Kilometern wäre zusätzlich verseucht worden. Und so machte sich Nikolaj Bondar mit seinen Helfern und mit einfachen Gummianzügen auf den gefährlichen Weg, das Wasser abzupumpen. Sie wussten bereits von der gefährlichen Strahlung, deshalb bekamen sie auch keine Strahlenmessgeräte, denn sie hätten sowieso nur die Überschreitung der Oberwerte angezeigt. Überall spritzte verseuchtes Wasser auf sie, und es drang sogar unter die Schutzanzüge, welche mehr als mangelhaften Schutz boten. Trotzdem schafften es die Männer, die riesigen Schläuche unter größter Lebensgefahr anzuschließen, und das Wasser konnte endlich abgepumpt werden.

Nikolaj Bondar: „Ich war bereit zu sterben, denn was für eine Gefahr war das erst für meine Kinder, Familie, meine Angehörigen. Ja, ich war bereit zu sterben, damit ihnen nichts passiert“

Nach diesem Einsatz kam Nikolaj Bondar gemeinsam mit seinen Kollegen sofort in ein Krankenhaus zur Untersuchung. Obwohl mehrere Anzeichen einer Verstrahlung da waren, wurden sie nur mit dem Vermerk „fast gesund“ entlassen, ohne weitere Hilfe und ohne weitere medizinische Versorgung.

Nikolaj Bondar war nur einer unter den vielen Ersthelfern (Liquidatoren) in Tschernobyl, welche im Einsatz waren. Hunderttausende Aufräumarbeiter waren im Dienst, um Anwohner zu evakuieren, Dekontaminierungsarbeiten durchzuführen und notwendige Sicherheitsmaßnahmen zu erledigen. Und dies aufgrund der hohen Strahlenbelastung mit fatalen Folgen. Viele Helfer starben bereits wenige Tage nach dem Unglück oder aber erst später an den Langzeitfolgen von der gefährlichen Strahlung. Krebserkrankungen, Herz-Kreislauf-Krankheiten, Durchblutungsstörungen und viele weitere schädliche Auswirkungen auf den Menschen waren die Folge, welche die durchschnittliche Lebenserwartung in den betroffenen Regionen erheblich sinken ließ. Auch, weil es bis heute immer wieder zu Fehlgeburten kommt und zahlreiche Kinder noch immer mit schweren Behinderungen auf die Welt kommen.

Menschen wie Nikolaj Bondar war es zu verdanken, dass das Unglück nicht schlimmer ausfiel. Gemeinsam mit den anderen Ersthelfern rettete er unmittelbar und in späterer Zukunft vielen Menschen das Leben. Bis auf zwei Orden, die man ihm für Tapferkeit und Kühnheit verlieh, erhielt er aber keine weitere Unterstützung der Regierung. Dieses Schicksal teilt er gemeinsam mit vielen anderen Liquidatoren, die bis heute für eine gerechte Entschädigung der Regierung kämpfen.

Für seine Arbeit als Helfer in Tschernobyl hat Nikolaj Bondar mit seiner Gesundheit bezahlt. Heute ist er ein schwer kranker Mann, alle seine Organe sind radioaktiv verstrahlt. Er hat immer einen Koffer mit Medikamenten dabei, die er zum Überleben benötigt. Trotzdem besucht er weiter Trauerfeiern, die an das schwere Unglück von 1986 erinnern. Die Überlebenden, die er dort trifft, werden von Jahr zu Jahr immer weniger. Viele sind krank und sterben noch immer an den Folgen der nuklearen Katastrophe.

Nikolaj Bondar: „Ich bereue es nicht, dass ich meine Familie und Millionen andere Menschen gerettet habe“