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Henry Wanyoike wurde am 10. Mai 1974 in Kenia (Afrika) geboren. In dem kleinen Ort Kikuyu wuchs er in ärmlichen Verhältnissen auf, als Schlafstätte diente nur eine einfache Wellblechhütte. Als im Alter von sechs Jahren sein Vater plötzlich an Malaria starb, war es die fürsorgliche Mutter, die Henry eine relative unbeschwerte Kindheit bescherte und die ihn dazu drängte, die Schule zu besuchen. Als er den Schulabschluss erfolgreich schaffte, begann er eine Lehre als Schuhmacher und eröffnete kurz darauf sein eigenes Schuhgeschäft. Henry Wanyoike war 21 Jahre alt und war voller Pläne für das Leben, als ein folgenschwerer Schicksalsschlag über Nacht alles ändern sollte.

Eines Abends ging Henry noch freudig ins Bett, in der Nacht wachte er jedoch mit starken Kopfschmerzen auf. Erschüttert musste er jedoch bald feststellen, dass es bereits Morgen war und er nicht mehr sehen konnte. Henry war an den Folgen eines Schlaganfalles erblindet und konnte aus einem Meter Entfernung nur mehr schemenhaft erkennen, was normale Menschen aus 60 Meter Entfernung lesen konnten. Für Menschen in Entwicklungsländern bedeutete eine solche Erblindung oft bittere Armut, Henry hatte jedoch Glück eine Familie hinter sich zu haben, die ihn versorgen konnte.

Henry Wanyoike: „Es passierte am 1. Mai 1995. Abends hatte ich leichte Lähmungserscheinungen, und ich ging noch sehend ins Bett. Ich wusste nicht, dass ich einen leichten Schlaganfall hatte. Am Morgen war mein Augenlicht verschwunden“

Aufgrund dieser Bürde verlor der stets gut gelaunte Henry seine ganze Lebensfreude. Er wusste nichts mehr mit seinem Leben anzufangen und verfiel in eine tiefe Traurigkeit. Obwohl ihm körperlich nichts fehlte, nahm der verlorene Lebenswille die Kraft in seinen Beinen. Schwer depressiv verbrachte der junge Mann die folgenden zwei Jahre im Rollstuhl oder bewegte sich auf Krücken fort. Henry sah keinen Sinn mehr im Leben und verweigerte stark abgemagert immer wieder das Essen. Aufgrund der Notsituation und der Suizidgefährdung kam Henry in ein spezielles Rehabilitationszentrum, welches von der Christoffel-Blindenmission unterstützt wurde.

Henry Wanyoike: „Es dauerte zwei Wochen, bis ich den Verlust meines Augenlichtes akzeptieren konnte. Nachdem mir klar war, dass ich wirklich blind war, bekam ich psychische Probleme“

In diesem Rehazentrum gelang es einfühlsamen Ärzten und Therapeuten, sich langsam an Henry heranzutasten. Nach und nach lernte Henry, mit seinem Schicksal umzugehen und schöpfte wieder Hoffnung für sein Leben. Er begann eine Ausbildung als Strickmeister und entdeckte wieder seine Leidenschaft für das Laufen. Bereits in seiner Jugendzeit hatte er ein Rennen gewonnen, hatte aber sein Hobby für die Schulausbildung zurückgestellt. Mit einem eigenen Trainingspartner, der mit einem Band am Handgelenk mit Henry verbunden war, damit dieser Henry führte, wurde mit dem Lauftraining begonnen. Henry hatte nun ein neues Ziel für sich entdeckt, er wollte an den Olympischen Spielen 2000 für Sportler mit körperlicher Behinderung (Paralympics), teilnehmen. Unermüdlich und mit unfassbarem Willen steigerte er seine Laufintensität so weit, dass sich Henry in einem Ausscheidungsrennen tatsächlich für die Paralympics qualifizieren konnte.


Henry Wanyoike: „Meine Begeisterung für das Laufen entdeckte ich mit ungefähr zwölf Jahren auf meinem fünf Kilometer langen Schulweg. Ich träumte davon, irgendwann ein großer und bekannter Läufer zu werden“

Henry Wanyoike war sehr nervös, denn zum ersten Mal nahm er an einem so wichtigen Wettbewerb außerhalb seines Landes teil. Weil Henry bis zu diesem Zeitpunkt keine großen Erfolge aufzuweisen hatte, interessierte sich auch kaum einer für den unbekannten Läufer aus Kenia. Als der Startschuss für das 5000 Meter Finale der Paralympics in Sydney (Australien) ertönte, verpasste Henry aufgrund seiner Aufregung fast den Start, aber mit seinem Führungsläufer kam er langsam auf Touren. Und Henry Wanyoike gab Gas. Mit einem unglaublichen Tempo überholte er Läufer um Läufer und setzte sich an die Spitze des Feldes. Er war wie in Trance, als plötzlich sein Führungsläufer in der letzten Runde zusammenbrach. Das Tempo war zu hoch für ihn gewesen, er hatte einfach keine Kraft mehr. Die mögliche Goldmedaille schien verloren zu sein, die Zuschauer konnten das Unglück kaum fassen, und sie konnten es noch weniger fassen, was der unbekannte kenianische Läufer in den nächsten Minuten für eine unglaubliche Willensstärke beweisen sollte.

Mit einer außergewöhnlichen Kraftanstrengung stemmte Henry seinen eigenen Führungsläufer in die Höhe und zog ihn nun selber in Richtung Ziel. Immer wieder strauchelte der Führungsläufer, aber Henry schleppte ihn mit ungeheurer Energie weiter. Die Zuseher flippten aus und das ganze Stadion begann, Henry lautstark anzufeuern. Trotz dieser Verzögerung schaffte es Henry vor allen anderen Läufern ins Ziel und gewann sensationell die Goldmedaille. So etwas hatte es in der Geschichte noch nicht gegeben, die ganze Welt bewunderte den kleinen kenianischen Läufer mit dem großen Kämpferherz.

In weiterer Folge gewann Henry Wanyoike viele Laufbewerbe auf der ganzen Welt und sammelte unermüdlich Spenden und Preisgelder, die er Cent für Cent an verschiedene Hilfsorganisationen in Kenia spendete. Henry Wanyoike nutzte seine Erfolge und seine Popularität, um vielen Armen und Hilfsbedürftigen in Kenia zu helfen. Vom kenianischen Präsidenten bekam er aus diesem Grund eine Auszeichnung zum wichtigsten Kenianer des Jahres.

Henry Wanyoike wurde vom hoffnungslosen Fall, der mit dem Leben eigentlich schon abgeschlossen hatte, zum Vorbild und Hoffnungsträger für ein ganzes Land. Denn es geht ihm nicht nur um die Siege bei den Rennen, sondern er läuft, um andere Menschen zu inspirieren, niemals die Hoffnung im Leben aufzugeben. Mit dieser Einstellung ist er Vorbild nicht nur für die Menschen in Kenia, sondern für viele Benachteiligte auf der ganzen Welt.

Henry Wanyoike: „Ich laufe für die, die im Leben aufgeben wollen, so wie ich beinahe aufgegeben hätte“