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Marina Nemat wurde am 22. April 1965 in Teheran, der Hauptstadt des Irans, geboren. Sie wuchs in einer christlichen Familie auf, einer im Iran zwar geduldeten religiösen Minderheit gegenüber dem Islam, aber trotzdem mit vielen Benachteiligungen. Marina Nemat war stolz auf ihren Glauben, und dies sollte ihr zum Verhängnis werden. Als in der Schule statt Mathematik plötzlich Politik unterrichtet wurde, um die Schüler politisch zu beeinflussen, wollte sie das nicht so einfach hinnehmen. Sie teilte ihre Meinung der Lehrerin mit, dass sie weiterhin Mathematik unterrichten sollte, aber diese reagierte nur wütend und schickte sie aus dem Klassenzimmer. Plötzlich folgten ihr aber auch die anderen Schüler, die ebenfalls nicht mit diesem Unterricht einverstanden waren. So wurde sie ungewollt zur Anführerin dieses Streiks, und in einer Schülerzeitung veröffentlichte sie zusätzlich ihre Meinung dazu. Dieser Vorfall blieb auch anderen Leuten nicht verborgen.


Marina Nemat befand sich gerade im Badezimmer, als es überraschend an der Haustür klingelte. Sofort hatte sie ein ungutes Gefühl, denn es war kein Besuch zu erwarten gewesen. Da standen auch schon bewaffnete iranische Soldaten in der Wohnung, um sie mitzunehmen. Den Eltern stand der Schrecken ins Gesicht geschrieben, als sie hörten, wo man ihre Tochter hinbringen sollte, denn es war das berüchtigte Evin-Gefängnis in Teheran. Alle Menschen mieden diese Strafanstalt so gut es ging, Fotografien von dem Gebäude waren von innen und außen strengstens verboten. Immer wieder waren schreckliche Dinge aus diesem Gefängnis zu hören, die den Leuten unheimliche Furcht einflößten. Dieser Ort war gleichbedeutend mit Grausamkeit, Folter und Tod. Die Eltern konnten ihr Kind nun nicht mehr beschützen, und so kam Marina Nemat als junges Mädchen im Alter von nur 16 Jahren in das zwielichtige Gefängnis. Ihre unbeschwerte Kindheit sollte von nun an vorbei sein.

Marina Nemat befand sich bereits mitten in dem Foltergefängnis, als schlagartig die Stille von schmerzerfüllten Schreien in ihrer Umgebung zerrissen wurde. Es folgten Schläge mit lauten Knallen, unterbrochen nur von verzweifelten Hilfeschreien eines Opfers. Unter furchtbarer Angst kam sie kurze Zeit später selbst zum Verhör. Mit brutalen Schlägen gegen ihre Fußsohlen wollte man erreichen, dass Marina Nemat Komplizen nannte, die sie bei der Schülerzeitung unterstützten, da die öffentliche Meinung gegen die Regierung unerwünscht war. Aber Marina Nemat war trotz ihres jungen Alters ein mutiges Mädchen und sagte nichts. Die Schläge wurden immer härter und die Folter immer grauenhafter, noch nie in ihrem Leben hatte sie so schlimme Qualen ertragen müssen. Und bald verlor sie aufgrund der unglaublichen Schmerzen die Besinnung.

Foto von Florian Höfer
unter CC BY-SA 3.0

Marina Nemat war mit einigen anderen Insassen auf einen Pfahl gebunden worden. Das Erschießungskommando brachte sich bereits mit ihren Gewehren in Position. Sie sollte nun erschossen werden, einfach so, und Marina Nemat hatte schreckliche Panik vor dem Tod. Plötzlich wurde sie jedoch losgebunden und weggebracht, die zurückgebliebenen Opfer sollten wenige Sekunden später die letzten Schüsse ihres Leben hören. Sie hatte Glück im Unglück, denn ein Gefängniswärter hatte sich in das junge Mädchen verliebt und schaffte es, dass ihre Todesstrafe in eine lebenslange Haft umgewandelt wurde. Dieser Gefängniswärter erpresste Marina Nemat nun zum Islam zu konvertieren um ihn heiraten zu können, da ansonsten ihre Familie und ihre Verwandten in Zukunft zu leiden hätten. Sie hatte keine Wahl und gab der Drohung nach, sie konvertierte unfreiwillig zum Islam und heiratete einen Mann, den sie nicht liebte, um ihre Liebsten zu schützen.

Die Zeit verging und der Alltag im Gefängnis war geprägt von Gewalt, Vergewaltigung, Folter und Erniedrigung. Oft musste man auf dem Fußboden schlafen, da in den Zellen akuter Platzmangel herrschte. Marina Nemat erlebte so wie die anderen Mitgefangenen die absolute Hölle, den einzigen Halt in dieser schweren Zeit fand sie in ihren Kindheitserinnerungen und ihrem eigenen Glauben.

Als ihr Ehemann von einem Mordkommando getötet wurde, da er vermutlich zu tolerant mit den Gefangenen umging, war es dessen Familie, die weitreichende Kontakte hatte, um für Marina Nemat eine Begnadigung zu erreichen. Nach über zwei Jahren in diesem Höllengefängnis konnte sie diesen schrecklichen Ort endlich als freie Person verlassen und konnte nach langer Zeit wieder zu ihrer Familie heimkehren. Alle anderen mit ihr Inhaftierten hatten dieses Glück nicht, denn keiner konnte das Gefängnis wieder lebend verlassen.

Nach ihrer Rückkehr fragte niemand nach ihrem Martyrium. Die Familie hatte furchtbare Angst vor dem Terrorregime und alle meinten nur, dass sie ihre Vergangenheit einfach vergessen sollte. Marina Nemat verdrängte daher das Erlebte so gut es ging, obwohl es ihr natürlich sehr schwer fiel.

Es dauerte über 20 Jahre, bis sie ihre furchtbaren Erinnerungen über das Evin-Gefängnis wieder einholen sollten. Sie schrieb ihre Erlebnisse nieder und veröffentlichte ein Buch darüber mit dem Titel: „Ich bitte nicht um mein Leben“. Sie brach ihr Schweigen, weil bis jetzt kein Opfer je den Mut gefunden hatte, über die Erlebnisse in diesem Gefängnis zu sprechen. Mit ihrer Geschichte stellte sie sich so mutig gegen das Terrorregime im Iran.

Marina Nemat hat den Iran verlassen, da sie dort aufgrund ihrer öffentlichen Meinung um ihr Leben bangen müsste. Sie lebt heute mit ihrem Mann und ihren Kindern in Kanada, wo sie in Freiheit leben können. Den Kontakt zu ihrer Familie hat sie komplett abgebrochen, um sie nicht in Gefahr zu bringen. Das Evin-Gefängnis hat sich bis heute kaum verändert, immer wieder dringen grausame Geschichten von Folter und Hinrichtungen an die Öffentlichkeit. Viele unschuldige Menschen befinden sich dort noch immer in Haft, und von der Mehrheit wird man wohl nie wieder etwas zu hören bekommen.

Marina Nemat: „Evin hat mich für immer verändert. Ich hätte in Evin sterben sollen, aber ich habe überlebt. Warum? Um der ganzen Welt meine Geschichte zu erzählen, damit sie von all dem Schrecklichen erfährt, was sich dort abgespielt hat“