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Mende Nazer wurde in einem kleinen Dorf im Sudan (Nordost-Afrika) geboren. Fernab jeglicher westlicher Zivilisation erlebte sie eine glückliche Kindheit mit liebevollen Eltern. Es war ein recht einfaches Leben, aber Mende Nazer liebte die Natur und war mit ihren Freundinnen immer dafür verantwortlich, Wasser zu holen und Brennholz zu sammeln, außerdem konnte sie eine Schule besuchen. Die Höhepunkte in dem Dorfleben waren traditionelle Feste und Feiern, aber es gab auch schmerzvolle Rituale. So musste sie in jungen Jahren bereits eine qualvolle Beschneidung (Genitalverstümmelung) über sich ergehen lassen, welche im Dorf als selbstverständlich angesehen wurde. Generell war das Zusammenleben der Menschen von Hilfsbereitschaft und Fürsorglichkeit geprägt, Einsamkeit war ein Fremdwort im Dorf und die Gemeinschaft stand immer im Vordergrund. Diese Kindheit sollte für Mende Nazer bald vorbei sein, denn in dem Land herrschten immer wieder kriegsähnliche Zustände. Und so fielen eines Tages brutale arabische Milizen in das Dorf ein.


Dieser Überfall war an Grausamkeit kaum zu überbieten. Den Männern wurden die Kehlen durchgeschnitten und die Frauen vergewaltigt. Das Dorf wurde geplündert und die Hütten in Brand gesteckt. Die Kinder hatten keine Chance und wurden von den einfallenden Räubern entführt, um sie in einem Sklavenlager unterzubringen. Auf dem Weg dorthin wurden die meisten jungen Mädchen von den brutalen Verbrechern vergewaltigt, ohne jede Rücksichtnahme. Unter ihnen befand sich auch Mende Nazer, die mit erst 12 Jahren dieses grausame Martyrium mitmachen musste. Von dem Sklavenlager aus wurde Mende Nazer an eine reiche Familie im Sudan als Sklavin verkauft. Das junge Mädchen, das bisher sorglos ihre Kindheit in Freiheit verbracht hatte, wusste nicht, ob ihre Familie und Freunde noch lebten und war nun vollkommen auf sich alleine gestellt. Aber die schrecklichsten Jahre in ihrem Leben sollten noch folgen.

Mende Nazer wurde komplett ihrer Identität beraubt, von nun an wurde sie nur mehr „Yebit“ genannt, eine Sklavin, die es nicht wert war, einen eigenen Namen zu tragen. Schlafen musste sie in einer alten Hütte im Garten, ohne Decke und irgendeinen Komfort. Tagsüber musste sie putzen, waschen, bügeln und die Kinder des Hauses versorgen, zum Essen gab es für sie nur übrig gebliebene Reste. Von ihrer strengen Herrin wurde sie ständig geschlagen und gedemütigt, nie hatte sie ein gutes Wort für das fleißige Mädchen übrig. Sogar die Hunde wurden besser behandelt und hatten einen viel höheren Stellenwert als sie. Das Haus durfte sie niemals verlassen, sie hatte keinen Kontakt zur Außenwelt und mit jedem Tag wurde Mende Nazer ein Stück ihrer Seele beraubt, solange, bis sie sich wirklich als echte Sklavin fühlte. Sie war einsam und vermisste die Geborgenheit ihrer Familie und ihrem Dorf. Nach jahrelanger Erniedrigung ohne Lohn und ohne je einen Tag frei gehabt zu haben, hatte Mende Nazer die Hoffnung auf ein besseres Leben bereits aufgegeben, als sie plötzlich nach London geschickt wurde, wo sie in einer Diplomatenfamilie für eine Schwester ihrer Herrin dienen sollte.


In London musste die inzwischen 19-jährige Mende Nazer ohne Lohn wieder die gleiche Arbeit verrichten wie in ihrem Heimatland. Bald musste sie erkennen, dass sie hier ebenfalls keine Freiheiten hatte und wieder das Haus nicht verlassen durfte. Als sie auch noch mit den Namen „Yebit“ gerufen wurde, verfiel sie in eine tiefe Depression und fühlte sich von der Welt im Stich gelassen. Mende Nazer war sehr verzweifelt und hegte bereits Selbstmordgedanken, als eine überraschende Nachricht ihr neue Hoffnung gab. Sie erfuhr, dass ihre Eltern noch am Leben waren und den brutalen Überfall seinerzeit tatsächlich überlebt hatten. Durch diese neue Erkenntnis schöpfte sie wieder Kraft und plante mit Hilfe eines Landsmannes ihre Flucht. Mende Nazer hatte große Angst und zitterte am ganzen Körper. Sie brachte gerade den Müll hinaus und wollte ihre Chance zur Flucht nun nach all den Jahren ergreifen. Wie vom Blitz getroffen rannte sie davon, weg von ihrem Gefängnis und von ihrem alten Leben. Doch sollte der Alptraum für Mende Nazer nun endlich vorbei sein?

Das Aufenthaltsrecht von Mende Nazer in England war noch nicht geklärt, denn sie hatte noch keine Aufenthaltsbestätigung. Und plötzlich erhielt sie die Schreckensnachricht, dass ihr Asylantrag abgelehnt wurde. Eine Rückkehr in den Sudan hätte ihren Tod bedeuten können, und so versuchte sie tapfer weiterzukämpfen. Gegen alle Widerstände und mit Hilfe eines Journalisten veröffentlichte sie ihre bewegende Geschichte in einem Buch („Sklavin – Gefangen-Geflohen-Verfolgt“). Und tatsächlich wurde dieses schockierende Werk ein absoluter Bestseller. Die britischen Behörden hatten nicht mit dem Druck der Öffentlichkeit und der Menschenrechtsorganisationen gerechnet, die nun alle Mende Nazer unterstützten. Es wurde eine Wiederaufnahme ihres Verfahrens erwirkt und im Jahr 2003 wurde sie tatsächlich als Flüchtling anerkannt und ihre Abschiebung konnte dadurch verhindert werden.

Mende Nazer lebt heute in London als freier Mensch. Sie veröffentlichte ein zweites Buch mit dem Titel („Befreit – Die Heimkehr der Sklavin“), wo sie nach langer Zeit aufgrund einer Friedensvereinbarung wieder in den Sudan zurückkehren konnte und ihre Eltern wiedersah. Sie kämpft heute unermüdlich gegen Kinderhandel und Sklaverei in ihrem Geburtsland. In ihrer Heimat ist sie mittlerweile eine Heldin, weil endlich jemand der Welt die Augen öffnet, dass es noch immer viele junge Sklaven gibt, auch in Europa und überall auf der Welt, und das im 21. Jahrhundert.

Mende Nazer: „Die Freiheit wird für mich immer kostbar bleiben. Sie ist ein schönes und einzigartiges Geschenk“