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Marie Grosholtz wurde im Dezember 1761 in Straßburg (Frankreich) geboren und wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf. Ihr Vater war Soldat und starb bereits vor ihrer Geburt, ausgegrenzt von der Gesellschaft hatten Marie und ihre Mutter ein Leben in völliger Armut zu erwarten. So musste ihre Mutter eine Arbeit als Hausmädchen bei Dr. Philippe Curtius annehmen, um irgendwie über die Runden zu kommen. Dieser verdiente seinen Unterhalt mit der Wachsbildnerei, und er war damit so erfolgreich, dass er bald nach Paris übersiedelte, Marie und ihre Mutter nahm er mit. Dr. Philippe Curtius fertigte nun öfters lebensgroße Wachsfiguren und begann mit dem Aufbau eines eigenen Wachsfigurenkabinettes. Die kleine Marie war sofort begeistert von der Arbeit mit dem Wachs und schaute jede freie Minute Dr. Curtius bei der Herstellung dieser Wachsfiguren über die Schulter. Dieser merkte sehr schnell die Schwärmerei von Marie und begann, sie nach und nach in die Geheimnisse der Wachsbildnerei einzuführen.
Marie war eine fleißige Schülerin und begriff sehr schnell das Handwerk. Wie man das Wachs zubereitete, den Kopf formte und Augen, Haare und Zähne richtig einsetzen musste. Sehr bald wurde sie eine wertvolle Gehilfin ihres Ausbildners und durch ihr besonderes Talent schuf sie bald erste eigene Modelle. Mit Hilfe ihres Lehrers bekam Marie Zugang zum französischen Hochadel und erhielt dort vermehrt Aufträge. Sie modellierte viele Prominente und auch Mitglieder der Königsfamilie. Marie war durch ihre Begabung und ihre besondere Fingerfertigkeit bei der Wachsfigurenherstellung überall beliebt und war am königlichen Hof in Versailles ein gern gesehener Gast. Doch im Gegensatz zu dem schönen Leben in der gehobenen Gesellschaft wuchs die Unzufriedenheit in den ärmeren Bevölkerungsschichten, und das sorgenfreie Leben sollte für Marie bald vorbei sein.
Als im Jahr 1789 die Französische Revolution ausbrach, fingen für Marie schlimme Zeiten an. Mitglieder der Königsfamilie und viele Freunde von ihr am königlichen Hof wurden umgebracht. Die von ihr aus Wachs geschaffenen Köpfe von den Prominenten wurden auf Stangen aufgespießt und durch die Straßen getragen, damit man sie öffentlich verspotten konnte. Durch ihre Kontakte zur Königsfamilie musste auch Marie um ihr Leben fürchten, doch sie hatte ein feines Gespür für die bedrohliche Situation und reagierte sofort. Sie fertigte nun Wachsköpfe (Totenmasken) von den enthaupteten Opfern an, da diese zu schnell verwesten und nicht mehr zur Schau gestellt werden konnten. Viele Menschen fanden den Tod durch die Guillotine (Köpfmaschine), und Marie wurde immer wieder Augenzeuge dieser schrecklichen Hinrichtungsmethode. Darunter waren auch der getötete König Ludwig XVI. und seine Frau Marie Antoinette.
Und so überlebte Marie den Terror mit vielen alptraumhaften Erfahrungen. Sie heiratete den Ingenieur Francois Tussaud, mit dem sie zwei Kinder hatte. Marie Tussaud erbte nach dem Tod ihres damaligen Lehrers dessen Wachsfigurensammlung, aber die wirtschaftlichen Zeiten waren schlecht. Die Menschen hungerten und die Kunden für ihr Wachsfigurenkabinett blieben aus, zusätzlich trennte sie sich von ihrem trunksüchtigen Mann. Marie Tussaud geriet in finanzielle Schwierigkeiten, denn auf einmal konnte sie kein Geld mehr als Wachsbildnerin verdienen. Und so setzte sie alles auf eine Karte und versuchte einen kompletten Neuanfang. 1802 reiste sie mit ihrem ältesten Sohn und ihren Wachsfiguren nach Großbritannien, ihren zweiten Sohn holte sie später nach.
Marie Tussaud war nun in einem fremden Land vollkommen auch sich alleine gestellt, zusätzlich war sie alleinerziehende Mutter. Sie tourte nun als Schaustellerin durch das ganze Land, zeigte ihre Wachsfiguren in Gasthäusern oder in Versammlungsräumen. Von morgens bis abends saß sie an der Kasse oder führte die Besucher durch die Räume, um ihre Sammlung zu präsentieren. In der Nacht fertigte sie neue Wachsfiguren, damit ihre Ausstellung immer aktuell war. Madame Tussaud, wie sie von nun an genannt wurde, hatte ein besonderes Talent für die Bedürfnisse der Menschen. So fertigte sie schon früh Figuren von Mitgliedern des englischen Königshauses an, die bald überall sehr beliebt waren. Trotz einiger Rückschläge kämpfte Madame Tussaud beharrlich weiter, sie machte eigenständig Werbung für ihre Wachsfiguren und informierte die Zeitungen über Neuerungen. Dies machte sich bezahlt und Madame Tussaud wurde mit der Zeit im ganzen Land bekannt. Fast 30 Jahre führte sie dieses schwierige und anstrengende Nomadenleben, ihre Methoden der Wachsfigurenherstellung verbesserte sie dabei ständig weiter.
Im Jahr 1835 machte Madame Tussaud in London Station, gleich nach ihrer Ankunft stürmten bereits hunderte Besucher ihre Ausstellung. Die Eisenbahn machte es nun auch möglich, dass Menschen, die weiter weg wohnten, ihr Wachsfigurenkabinett besuchten konnten, sie musste nun nicht mehr zu ihrem Publikum reisen. Und so beschloss Madame Tussaud, im Alter von bereits 73 Jahren, ihr erstes eigenes Museum zu eröffnen, welches schnell zu einer berühmten Attraktion in London wurde. Madame Tussaud schrieb kurze Zeit später ihre Memoiren und übergab das Museum ihren beiden Söhnen, die es erfolgreich weiterführten.
Madame Tussaud starb am 16. April 1850 im Alter von 88 Jahren. Die letzte Wachsfigur, die sie herstellte, war ihr eigenes Abbild für ihr Wachsfigurenkabinett.
Madame Tussaud hatte mit vielen Widerständen im Leben zu kämpfen. Sie überlebte nur knapp die schreckliche Zeit der Französischen Revolution und ging als alleinerziehende Mutter ohne Geld in ein fremdes Land. In einer Zeit, wo Frauen in der Geschäftswelt eigentlich nichts zu suchen hatten, baute sie im Alleingang ein bedeutungsvolles Unternehmen auf. Durch ihren ausgeprägten Geschäftssinn verstand sie schon sehr früh, die lebensechten Wachsfiguren in eine interessante Geschichte zu verwandeln und so die Menschen in ihren Bann zu ziehen. Heute stehen überall auf der Welt die Wachsfigurenkabinette „Madame Tussauds“, den Grundstein dafür legte eine Frau, die abenteuerlich durch das Leben schritt und immer felsenfest an ihre geliebten Wachsfiguren glaubte.