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Obwohl das Kastensystem in Indien offiziell bereits abgeschafft wurde, bestimmt es in vielen Teilen des Landes noch immer das Leben der Menschen. Die Gesellschaft ist in Gruppen unterteilt und es herrscht eine strenge Hierarchie. Menschen, die zufällig in eine hohe Kaste hineingeboren worden sind, werden in vielen Bereichen des Lebens bevorzugt. Hingegen stellen Menschen in niederen Kasten den Großteil der Bevölkerung und bilden die unterste und ärmste Schicht der indischen Gesellschaft. Besonders für Frauen hat dieses starre und von Männern kontrollierte Kastensystem fatale Auswirkungen.
Im nördlichen Bundesstaat von Indien, Uttar Pradesh, wo sich seit Jahrhunderten dieses Kastenwesen hält, haben Frauen so gut wie keine Rechte. Sie dürfen nicht selbstständig handeln und müssen stets abhängig von einem Mann sein, zuerst von ihrem Vater, dann von ihrem Ehemann und dann als Witwe von ihren Söhnen. Viele Mädchen werden nicht zur Schule geschickt, aus Angst, sie könnten durch Kontakte zu anderen Jungen die Familie entehren. Sie werden bereits als kleine Mädchen zwangsverheiratet und werden von den Schwiegerfamilien oft wie eine Sklavin gehalten. Sie müssen meistens härter arbeiten als die Männer für weniger Lohn, zudem kommt es oft zu Misshandlungen und Vergewaltigungen. Von der Polizei und den Behörden haben sie keine Hilfe zu erwarten, da meistens Männer diese Positionen besetzen und diese Anzeigen oft nicht ernst genommen und kaum beachtet werden. Eine tapfere Frau wollte sich diesem Schicksal aber nicht ergeben.

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Sampat Pal Devi, die aus der untersten Kaste stammte, erlebte am eigenen Leib die Unterdrückung der Frau. Als Kind musste sie bereits auf dem Feld arbeiten, während ihr Bruder die Schule besuchen durfte. Im Alter von zwölf Jahren wurde sie zwangsverheiratet und bekam bald darauf schon ihr erstes Kind. Von den Schwiegereltern wurde sie tyrannisiert und von der obersten Kaste ständig unterdrückt. Doch immer öfter stemmte sich Sampat Pal Devi gegen diese Ungerechtigkeiten und wurde durch ihre Widerspenstigkeit bald aus ihrem Dorf gejagt. Nun wollte sie öffentlich gegen die Unterdrückung der Frauen kämpfen und gründete daher die erste weibliche Bürgerwehr in Indien mit dem Namen „Gulabi Gang“.
Sampat Pal Devi: „Ich halte nichts vom Kastensystem. Ich glaube an Menschlichkeit und Gleichheit“
Bald schlossen sich die ersten Frauen der „Gulabi Gang“ an, um für Frauenrechte und gegen soziale Ungerechtigkeiten zu kämpfen. Als Markenzeichen trug jedes Mitglied ein leuchtendes rosa Sari (indisches Kleidungsstück für Frauen), zusätzlich wurde jedes Mitglied mit einem langen Bambusstock ausgestattet, um sich im Notfall wehren zu können. Die „Gulabi Gang“ wurde von den meisten Männern zwar nur belächelt, doch sie sollten schon sehr bald die Kraft und die Entschlossenheit dieser Frauen zu spüren bekommen.
Sampat Pal Devi: „Wir kämpfen gegen männliche Dominanz, gegen Väter, die ihren Töchtern nicht erlauben, zur Schule zu gehen, und diese schon als Kinder verheiraten“
Voller Enthusiasmus stattete man von nun an prügelnden Ehemännern einen Besuch ab, um den Frauen zu helfen. Und es funktionierte tatsächlich, denn die Männer wussten, wenn sie wieder gewalttätig werden sollten, dass plötzlich zwanzig rosa bekleidete Frauen mit Bambusstöcken lautstark vor der Tür stehen würden. Die „Gulabi Gang“ patrouillierte nun in den Dörfern, sie verhinderten Kinderhochzeiten und zwangen Polizisten dazu, Vergewaltiger zu bestrafen. Bald schlossen sich immer mehr Frauen dieser weiblichen Bürgerwehr an und kämpften mit Sampat Pal Devi für die Rechte der Frauen und der Unterdrückten.

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Sampat Pal Devi: „Wir beschützen die Machtlosen vor den Mächtigen. Wir bestrafen brutale Ehemänner und jene, die ihre Familien im Stich lassen“
Die „Gulabi Gang“ wurde nun immer größer und zehntausende Frauen schlossen sich dieser Bewegung an. Die „Gulabi Gang“ erkämpfte sich bereits großen Respekt, nicht nur vor den Dorfbewohnern, sondern auch bei der Polizei und den Behörden. Mittlerweile zählten auch schon Männer zu den Mitgliedern, die für mehr Gerechtigkeit eintreten wollten.
Überall, wo die Frauen der „Gulabi Gang“ mit ihren leuchtenden rosa Kleidern heute auftauchen in Indien, überall dort herrscht große Bewunderung und Anerkennung der Bevölkerung. Durch diese Frauenbewegung erkannten auch immer mehr Frauen, dass es sich lohnt, für Veränderungen und ein besseres Leben zu kämpfen. Sampat Pal Devi veränderte im Alleingang mit ihrer „Gulabi Gang“ das Leben vieler Frauen, welche bis zu diesem Zeitpunkt ihr vorherbestimmtes Schicksal stets hingenommen hatten. Die „Gulabi Gang“ durchbrach durch den großen Zusammenhalt der Frauen die alten und starren Traditionen und ist für viele Menschen in Indien die letzte Hoffnung auf ein besseres Leben.
Sampat Pal Devi: „Ich habe den Schmerz gesehen, den Frauen erleiden und immer mehr treten bei. Jede Frau die leidet ist hier bei mir. Es ist ihr Kampf“