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Winter 2018, Olympische Winterspiele in Pyeongchang (Südkorea). Wir sind mittendrin beim Super-G der Frauen, der zweitschnellsten Disziplin nach der Abfahrt im Skisport. Alle Favoriten sind im Ziel, alles ist entschieden. Siegerinterviews werden gegeben, Gratulationen entgegengenommen. Plötzlich schwenkt die TV-Übertragung auf die Piste, denn eine junge Tschechin liegt nach der ersten Zwischenzeit fast gleichauf mit der Führenden. Startnummer 26, Ester Ledecká. Muss ein Zufall sein. Die Zuschauer widmen sich wieder den Feierlichkeiten und jubeln ihren Vorbildern zu. Auch die Stars im Ziel beachten die Rennläuferin nicht. Das Rennen ist gelaufen.


2. Zwischenzeit. Die Tschechin steigert ihr Tempo und fährt bereits schneller als die bisher Führende. Die Läuferinnen im Ziel blicken auf die Piste. Aber sie beruhigen sich wieder, denn es handelt sich nur um Ester Ledecká, die noch nie ein wirkliches Topresultat erreicht hat. Außerdem ist sie keine Skirennläuferin, denn sie ist eigentlich bei den Snowboardern unterwegs. Hier ist Ester Ledecká sehr erfolgreich, gewinnt nicht nur viele Rennen, sondern darf sich auch Snowboard-Weltmeisterin nennen. Eine Snowboarderin bei den Skifahrern? Ist so etwas möglich?

Ester Ledecká: „Ich war ein außergewöhnliches Kind. Ich hatte Energie ohne Ende“

Ester Ledecká ist schon immer anders gewesen. Als Kind wächst sie mit dem Snowboard, als auch mit den Skiern auf. Und sie ist talentiert, ein echtes Bewegungstalent. Die Trainer drängen das Mädchen sich zu entscheiden. Skifahren oder Snowboarden. Beides zu betreiben ist unmöglich, vor allem im Spitzensport. Ester Ledecká bleibt stur, sie hat das Gefühl in beiden Sportarten erfolgreich sein zu können. Sie wird zur Außenseiterin, wird von Experten abgeschrieben und muss sich vieles selbst finanzieren. Als Snowboarderin kann sie bald Erfolge feiern, trotzdem fährt sie weiter Ski. Es ist ihre Leidenschaft, egal was andere über sie denken.


Foto von Clément Bucco-Lechat
unter CC BY-SA 3.0


Ester Ledecká: „Alle sagen, dass dies unmöglich ist, dass ich verrückt bin. Dann bin ich halt verrückt“

Die nächste Zwischenzeit. Ester Ledecká liegt noch immer in Führung. Sie fährt gerade das Rennen ihres Lebens. Alle Superstars blicken jetzt hinauf auf den Berg, plötzlich herrscht gespannte Aufregung. Sie bangen jetzt um die sicher geglaubten Medaillen. Die letzten Sekunden laufen, die junge Tschechin stürzt sich waghalsig die Piste hinunter. Sie wird Zeit verlieren. Sie muss Zeit verlieren. Denn sie ist mit gebrauchten Ski unterwegs, die von der bekannten Skirennläuferin Mikaela Shiffrin bereits lange aussortiert wurden. Mit letzter Kraft überquert die Tschechin die Ziellinie. Es ist eine knappe Angelegenheit. Alle Anwesenden blicken auf die riesige Anzeigetafel, die sich noch nie geirrt hat. Aber diesmal ist es anders. Denn Ester Ledecká kommt 0,01 Sekunden, eine Hundertstel vor der bisherigen Führenden ins Ziel. Es muss ein Fehler vorliegen.

Ester Ledecká zeigt keine Regung. Sie ist sicher, dass die Zeit nicht stimmt. Aber die Anzeigetafel wird nicht mehr korrigiert. 1. Platz: Ester Ledecká. Als sie sich umdreht, bekommt sie zum ersten Mal den tosenden Applaus der Zuschauer mit. Erste Gratulanten stürmen auf sie zu und fallen ihr um den Hals. Es ist tatsächlich passiert. Ein magischer Moment. Eine der größten Olympiasensationen in der Geschichte des Wintersports! Eine Snowboarderin holt Gold im Super-G des alpinen Skirennlaufes. Die anderen Skirennläuferinnen können es kaum fassen, so etwas hat es noch nie gegeben.

In ihrer Heimat ist es verdächtig still. Kein Wunder, denn dort wird gerade das Eishockeymatch Tschechien und Kanada im Fernsehen übertragen. Keiner bekommt mit, dass Ester Ledecká gerade die erste Goldmedaille für Tschechien gewinnen konnte. Die anschließende Pressekonferenz ist unterhaltsam. Ester Ledecká betritt mit Skibrille den Raum. Der Grund? Sie trägt kein Make-up, weil sie nicht wie die anderen Skistars auf die Siegerehrung vorbereitet war. Immer mehr Details dringen zum Vorschein. Im Sommer betreibt sie Kickboxen und Beachvolleyball. Auch im Windsurfen hat sie Talent. Vielleicht wird sie dort einmal bei den olympischen Sommerspielen an den Start gehen. Gelächter bricht unter den Journalisten aus. Spätestens jetzt muss man aber wissen: Dieser jungen Frau ist wohl wirklich alles zuzutrauen!

Ester Ledecká geht selbstbewusst ihren eigenen Weg im Leben. Sie beweist der Sportwelt, dass alles möglich ist, wenn man an sich glaubt. Sie folgt ihrem inneren Antrieb und schafft es so, ihre ganze Energie nach außen zu tragen. Dann können Dinge passieren, die für Außenstehende schwer nachzuvollziehen sind. Wie der Olympiasieg einer jungen Tschechin, die mutig dem Ruf ihres Herzens gefolgt ist.

Ester Ledecká: „Es war mein Traum, darauf habe ich hingearbeitet. Ich denke nicht, dass ich so talentiert bin. Ich fahre einfach den Berg runter und habe Spaß. Ich wollte das schon als kleines Kind“

Blognachtrag:

Wie hätte es anders kommen können! Nur wenige Tag nach ihrem sensationellen Olympiasieg beim Skirennen gewinnt Ester Ledecká auch die Goldmedaille im Snowboardrennen. Jetzt darf sie sich tatsächlich Doppel-Olympiasiegerin nennen.

„Wunder beginnen genau dann, wenn wir unseren Träumen mehr Energie geben, als unseren Ängsten“


Einzelnachweise (abgerufen am 19.02.2018):
1. www.blick.ch – Wie wird ein Snowboard-Star Olympiasiegerin im Super-G?
2. www.20min.ch – Ein Multitalent ohne Angst
3. wikipedia.org – Ester Ledecká